Kopfschmerzen nach Wein: Der wahre Grund liegt nicht dort wo du denkst und betrifft fast jeden

Wein gilt vielen als natürliches Genussmittel – schließlich entsteht er durch die Gärung von Trauben. Doch ein Blick hinter die Kulissen der modernen Weinproduktion offenbart eine überraschende Vielfalt an Zusatzstoffen, die den Weg ins Glas finden. Besonders Sulfite stehen dabei im Fokus, doch sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Für gesundheitsbewusste Weinliebhaber lohnt sich ein genauerer Blick auf die Flasche.

Sulfite: Der bekannteste Zusatzstoff mit versteckten Tücken

Weine mit einem Sulfitgehalt über 10 Milligramm pro Liter müssen den Hinweis „enthält Sulfite“ tragen. Was nach klarer Verbraucherinformation klingt, verschleiert jedoch wichtige Details: Die tatsächliche Menge bleibt meist im Dunkeln. Während ein trockener Rotwein häufig zwischen 80 und 150 Milligramm pro Liter enthält, können süße Weißweine oder Dessertweine deutlich höhere Werte aufweisen. Rechtlich erlaubt sind bis zu 150 Milligramm pro Liter bei Rotwein und bis zu 200 Milligramm pro Liter bei Weiß- und Roséwein. Bei Süßweinen steigen die Grenzwerte je nach Kategorie auf bis zu 400 Milligramm pro Liter bei Beerenauslesen.

Sulfite, chemisch als Schwefeldioxid und seine Verbindungen bekannt, erfüllen mehrere Funktionen: Sie wirken konservierend, schützen vor unerwünschter Oxidation und verhindern mikrobiellen Verfall. Für die meisten Menschen sind sie in üblichen Mengen unbedenklich. Doch besonders Menschen mit Asthma sollten wachsam sein – etwa drei bis zehn Prozent der Asthmatiker reagieren empfindlich auf diese Verbindungen. Die Symptome können von Kopfschmerzen über Hautreaktionen bis zu Atembeschwerden reichen.

Die lange Liste nicht deklarierungspflichtiger Behandlungsstoffe

Was viele Weintrinker überrascht: Sulfite sind längst nicht der einzige Zusatzstoff im Wein. Das europäische Weinrecht erlaubt die Verwendung zahlreicher Substanzen, die nicht auf dem Etikett erscheinen müssen. Diese sogenannten „önologischen Verfahren“ umfassen Schönungsmittel, Stabilisatoren und technische Hilfsstoffe. Bei konventionellem Wein sind bis zu 50 verschiedene Zusatzstoffe in der Weinherstellung erlaubt.

Schönungsmittel: Klärung mit Nebenwirkungen

Um Weine klar und optisch ansprechend zu machen, setzen Produzenten häufig Schönungsmittel ein. Diese binden Trübstoffe und werden theoretisch wieder aus dem Wein entfernt. Zu diesen Substanzen gehören tierische Produkte wie Gelatine, Fischblase, Kasein aus Milch oder Albumin aus Eiern. Für Veganer und Menschen mit Allergien wird hier die Weinflasche zur Blackbox, denn eine Kennzeichnungspflicht besteht nur bei Ei- und Milchprodukten, wenn diese im fertigen Wein nachweisbar sind. Moderne Kellereien nutzen zunehmend auch mineralische oder synthetische Alternativen wie Bentonit, ein Tonmineral, oder PVPP, ein Kunststoff zur Entfernung von Bitterstoffen.

Säureregulierung und Geschmacksoptimierung

Die Anpassung des Säuregehalts gehört zur gängigen Praxis der Weinbereitung. In kühlen Jahren oder Regionen kann die Entsäuerung mit Calciumcarbonat oder Kaliumhydrogencarbonat erfolgen. In warmen Klimazonen hingegen fügen Winzer manchmal Weinsäure oder Zitronensäure hinzu, um die nötige Frische zu erhalten. Diese Eingriffe verändern das sensorische Profil erheblich, bleiben aber für Konsumenten völlig intransparent.

Besonders kontrovers diskutiert wird die Verwendung von Zucker zur Geschmacksabrundung. Während die Chaptalisation – das Anreichern des Mostes vor der Gärung zur Erhöhung des Alkoholgehalts – in bestimmten Regionen erlaubt ist, dürfen fertige Weine in der EU grundsätzlich nicht nachgesüßt werden. Ausnahmen bilden bestimmte Kategorien, bei denen rektifiziertes Traubenmostkonzentrat zum Einsatz kommt.

Moderne Zusatzstoffe: Technologie im Dienst der Stabilität

Die Weinproduktion bedient sich zunehmend innovativer Zusätze, die dem Verbraucher kaum bekannt sind. Hefen werden nicht nur natürlich gewonnen, sondern oft als spezialisierte Reinzuchthefen zugesetzt, die bestimmte Aromabereiche betonen oder unterdrücken sollen. Enzyme beschleunigen Klärungsprozesse oder verbessern die Farbextraktion bei Rotweinen. Gummi arabicum findet Verwendung zur Weinstabilisierung, während Kaliumsorbat in geringen Mengen als zusätzlicher Konservierungsstoff dient. Kupfersulfat hilft gegen unerwünschte Schwefelwasserstoff-Noten, die dem Wein einen unangenehmen Geruch verleihen würden.

Gesundheitliche Perspektiven: Wann wird es kritisch?

Die meisten zugelassenen Zusatzstoffe gelten in den verwendeten Mengen als gesundheitlich unbedenklich. Der ADI-Wert für Sulfite liegt bei 0,7 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Für einen 70 Kilogramm schweren Menschen bedeutet dies eine tägliche Aufnahmemenge von 49 Milligramm Schwefeldioxid – ein Wert, der bereits mit einem Viertelliter Wein mit 200 Milligramm pro Liter erreicht wird. Problematisch wird es jedoch für Menschen mit spezifischen Unverträglichkeiten oder Allergien.

Die häufig Sulfiten zugeschriebenen „Wein-Kopfschmerzen“ haben möglicherweise auch andere Ursachen: Biogene Amine, die natürlicherweise bei der Gärung entstehen, können bei entsprechender Empfindlichkeit Beschwerden auslösen. Interessanterweise zeigt die Forschung, dass das Verzichten auf Sulfit den biogenen Amin-Anteil erhöht und damit bei empfindlichen Menschen mitunter Kopfschmerzen verstärken kann. Der Alkohol selbst wirkt gefäßerweiternd und kann Kopfschmerzen begünstigen – ein Aspekt, der oft unterschätzt wird.

Orientierungshilfen beim Weinkauf

Wer Wert auf minimale Zusatzstoffe legt, findet mittlerweile Alternativen im Handel. Naturweine und Bioweine unterliegen strengeren Richtlinien bezüglich erlaubter Zusätze. Ökologischer Weinbau verzichtet auf synthetische Dünger und Pestizide, während Naturwein-Bewegungen noch einen Schritt weitergehen und auf nahezu alle önologischen Eingriffe verzichten – teilweise sogar auf den Zusatz von Sulfiten.

Die Kennzeichnung „ohne zugesetzte Sulfite“ bedeutet allerdings nicht „sulfitfrei“, denn Sulfite entstehen in geringen Mengen auch natürlich während der Gärung. Weine mit dieser Bezeichnung enthalten typischerweise weniger als 10 Milligramm pro Liter. Bioweine enthalten weniger Sulfite, wenn auch in der Regel in geringerem Umfang als nicht-biologische Sorten – die Maximalmengen liegen um 30 bis 50 Milligramm pro Liter niedriger als bei konventionellen Weinen.

Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Bioweinen mit EU-Siegel und Weinen von privaten Verbänden. Letztere haben oft noch restriktivere Vorgaben: Während die EU-Bioverordnung bereits strenger ist als konventionelle Standards, beschränkt Bioland die zugelassenen Zusatzstoffe auf 20, und Demeter erlaubt sogar nur 13 Zusatzstoffe. Diese deutlich niedrigeren Zahlen stehen im starken Kontrast zu den bis zu 50 Zusatzstoffen, die bei konventionellem Wein zugelassen sind.

Was Verbraucher konkret tun können

Der erste Schritt zu bewusstem Weingenuss beginnt mit gezielten Fragen beim Fachhändler oder direkt beim Erzeuger. Viele Winzer informieren auf ihren Websites detailliert über ihre Produktionsmethoden und verwendete Hilfsstoffe – weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus. Bei bekannter Sulfitempfindlichkeit empfiehlt sich der Griff zu Rotweinen, die tendenziell weniger Sulfite enthalten als Weißweine. Junge, frische Weine haben oft niedrigere Sulfitwerte als lagerfähige Qualitäten.

Das Führen eines Ernährungstagebuchs kann helfen, Zusammenhänge zwischen Beschwerden und bestimmten Weintypen zu erkennen. Oft zeigt sich, dass nicht alle Weine gleichermaßen Probleme bereiten, sondern nur bestimmte Kategorien oder Produktionsweisen. Die Diskussion um Transparenz in der Weinproduktion gewinnt an Fahrt. Immer mehr Erzeuger setzen auf vollständige Inhaltsstoffangaben – freiwillig und als Ausdruck ihrer Qualitätsphilosophie. Als mündiger Verbraucher können Sie diese Entwicklung unterstützen, indem Sie gezielt nach transparenten Produkten fragen und Ihr Kaufverhalten entsprechend ausrichten. Wein bleibt ein Genussmittel, doch informierter Genuss schmeckt am Ende doch besser.

Wie viele Zusatzstoffe vermutest du in deinem Lieblingswein?
Höchstens 5
Etwa 10 bis 20
Über 30
Keine Ahnung ehrlich gesagt
Ich trinke nur Naturwein

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