Die Macht der visuellen Täuschung an der Supermarktkasse
Wer nach dem Training oder für zwischendurch einen schnellen Energieschub sucht, greift häufig zu Energieriegeln. Die Verpackungen versprechen mit sportlichen Motiven, Fitness-Symbolen und vermeintlichen Gesundheitssiegeln genau das, was aktive Menschen suchen: eine gesunde, ausgewogene Energiequelle. Doch ein genauer Blick auf die Zutatenliste offenbart oft eine ernüchternde Wahrheit, die im krassen Gegensatz zu den bunten Versprechen auf der Vorderseite steht.
Symbole wirken unmittelbar und emotional. Während Verbraucher selten die Zeit haben, sich durch komplizierte Nährwerttabellen zu kämpfen, erfassen sie visuelle Signale in Sekundenschnelle. Genau diese psychologische Schwäche nutzen Hersteller gezielt aus. Ein stilisierter Läufer, ein Hantel-Symbol oder ein grünes Blatt suggerieren Gesundheit und sportliche Performance – ohne dass diese Darstellungen tatsächlich durch strenge Prüfkriterien abgesichert sein müssen. Das San Francisco City Attorney’s Office verklagte erst kürzlich große Hersteller ultrahochverarbeiteter Lebensmittel wegen irreführender Werbung, was zeigt, wie verbreitet diese Praktiken sind.
Wissenschaftliche Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Raum belegen diese Täuschungsmechanismen. Eye-Tracking-Studien zeigen, dass die Kombination von Signalfarben und Gesundheitshinweisen auf Verpackungen das Blickverhalten und die Kaufentscheidungen gezielt beeinflusst. Forschungen an der Universität Wien bestätigen zudem, dass die Farbsättigung von Produktverpackungen das Gesundheitsurteil von Konsumenten systematisch verändert – grüne Farben vermitteln Natürlichkeit und Reinheit, unabhängig vom tatsächlichen Inhalt.
Das Problem beginnt bereits bei der rechtlichen Grauzone: Während konkrete gesundheitsbezogene Aussagen wie „senkt den Cholesterinspiegel“ durch die Health-Claims-Verordnung der EU streng reguliert sind, bleiben bildliche Darstellungen und unspezifische Symbole weitgehend unkontrolliert. Ein Siegel, das wie ein offizielles Prüfzeichen aussieht, kann vom Hersteller selbst entworfen sein und keinerlei unabhängige Kontrolle durchlaufen haben.
Welche Täuschungsstrategien besonders häufig vorkommen
Fantasiesiegel ohne Substanz
Besonders perfide sind selbst kreierte Qualitätssiegel, die auf den ersten Blick seriös wirken. Sie tragen Bezeichnungen wie „Sportler-geprüft“, „Fitness-optimiert“ oder „Energie-Balance-Formel“. Diese Begriffe klingen wissenschaftlich fundiert, haben aber keinerlei standardisierte Bedeutung und werden keiner externen Prüfung unterzogen. Der Hersteller definiert selbst, was diese Begriffe bedeuten sollen – oder lässt sie bewusst vage.
Die Protein-Illusion
Ein großes Protein-Symbol auf der Verpackung erweckt den Eindruck, es handle sich um einen hochwertigen Snack für Sportler. Doch unabhängige Tests zeigen: Während einige Proteinriegel tatsächlich hohe Proteinmengen enthalten, ist die Qualität oft fragwürdig. Öko-Test untersuchte 20 Proteinriegel und stellte fest, dass 16 davon Kollagenhydrolysat oder Gelatine enthielten – Proteine minderer Qualität, die aus Schlachtabfällen wie Rinderknorpel oder Hahnenkämmen hergestellt werden.
Diese minderwertigen Proteinquellen werden mit hochwertigen Milchproteinen gemischt, was den Gesamtproteingehalt künstlich erhöht, aber den ernährungsphysiologischen Wert erheblich mindert. Für Sportler, die auf alle neun essenziellen Aminosäuren angewiesen sind, stellt dies ein erhebliches Problem dar. Der Testsieger mit 30 Prozent Protein war eine Ausnahme – die meisten Produkte enttäuschten trotz vollmundiger Versprechen.
Natürlichkeits-Suggestion durch grüne Gestaltung
Grüne Farben, Blätter, Getreideähren und Sonnenstrahlen erzeugen eine Illusion von Reinheit und Ursprünglichkeit. Die tatsächliche Zutatenliste liest sich jedoch wie ein Chemie-Lexikon: Glukosesirup, modifizierte Stärke, Emulgatoren, künstliche Aromen und Konservierungsstoffe dominieren. Die „natürliche Energie“ stammt meist aus hochverarbeitetem Industriezucker, nicht aus vollwertigen Zutaten.
Verbraucherschutzorganisationen warnen, dass viele Sportriegel reichlich Zucker oder Austauschstoffe wie Glukosesirup, Fruktosesirup und Invertzuckersirup enthalten und eher einer Süßigkeit gleichkommen. Ein besonders dreistes Beispiel: Bei einem getesteten Proteinriegel wurden 5 Gramm Zucker pro 100 Gramm gemessen, obwohl auf der Packung nur 2,6 Gramm deklariert waren – eine Diskrepanz, die sogar den zulässigen Toleranzbereich der EU-Leitfäden überschreitet.
Der Blick hinter die Kulissen: Was wirklich in Energieriegeln steckt
Die Analyse typischer Energieriegel zeigt ein wiederkehrendes Muster: Der Hauptbestandteil ist meist Zucker in verschiedenen Formen. Glukosesirup, Invertzuckersirup, Maltodextrin, Dextrose – die Liste der Zuckervarianten ist lang und verschleiert geschickt die tatsächliche Gesamtmenge. Addiert man alle Zuckerarten zusammen, machen sie nicht selten 40 bis 60 Prozent des Produkts aus.
Besonders problematisch ist der glykämische Index dieser Riegel. Statt langanhaltende Energie zu liefern, führen sie zu schnellen Blutzuckerspitzen mit anschließendem Energieabfall. Für Sportler, die auf konstante Leistungsfähigkeit angewiesen sind, ist dies kontraproduktiv. Der vermeintlich gesunde Snack bewirkt genau das Gegenteil dessen, was die Symbole versprechen.

Fettfallen im Sport-Gewand
Viele Energieriegel enthalten überraschend hohe Mengen an Fett, oft aus gehärteten Pflanzenfetten oder Palmöl. Öko-Test untersuchte 19 Energieriegel und stellte fest, dass problematisch hohe Fettanteile die Regel sind. Ein besonders auffälliges Beispiel: Bei einer getesteten Haferriegel-Variante stammten 41 Prozent der Kalorien aus Fett – selbst ein gewöhnlicher Marsriegel enthält weniger Fett.
Diese Fette sind kostengünstig, sorgen für eine cremige Konsistenz und längere Haltbarkeit, bieten aber keinen ernährungsphysiologischen Mehrwert. Ein einzelner Riegel kann durchaus 10 bis 15 Gramm Fett enthalten. Experten empfehlen für Energieriegel eine Zusammensetzung von nur 15 Prozent Fett und mindestens 75 Prozent Kohlenhydrate – eine Empfehlung, die die meisten Produkte deutlich verfehlen.
Süßstoffe als versteckte Risikofaktoren
Ein weiteres Problem betrifft vor allem Proteinriegel: Bis auf wenige Ausnahmen enthalten fast alle synthetisch hergestellte Süßstoffe. Stoffe wie Sucralose stehen immer wieder in der Kritik, da sie mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht werden. Die wenigen als gut bewerteten Riegel werden stattdessen mit Zuckeralkoholen gesüßt, die als das kleinere Übel gelten. Auch Verdickungsmittel wie Carrageen sind problematisch. In Tierstudien zeigte dieser Zusatzstoff negative Effekte auf den Verdauungstrakt und das Immunsystem. Dennoch wird er weiterhin in zahlreichen Produkten verwendet, um die gewünschte Konsistenz zu erreichen.
Wie Verbraucher sich vor Täuschung schützen können
Die Zutatenliste ist die einzige verlässliche Quelle
Ignorieren Sie die Vorderseite der Verpackung weitgehend und konzentrieren Sie sich auf die Zutatenliste. Die Inhaltsstoffe sind nach Menge geordnet – was am Anfang steht, macht den größten Anteil aus. Wenn die ersten drei Zutaten verschiedene Zuckerarten oder Sirupe sind, haben Sie es mit einem Süßigkeitenriegel zu tun, nicht mit einem gesunden Sportsnack.
Nährwerttabelle kritisch analysieren
Achten Sie besonders auf folgende Werte: Bei Zucker sollten mehr als 15 Gramm pro 100 Gramm Sie skeptisch machen. Beim Protein kommt es nicht nur auf die Menge an, sondern auch auf die Qualität – Kollagenhydrolysat und Gelatine sind minderwertige Proteinquellen. Idealerweise sollten nur etwa 15 Prozent der Kalorien aus Fett stammen. Je kürzer die Liste der Zusatzstoffe, desto besser – meiden Sie synthetische Süßstoffe und umstrittene Verdickungsmittel.
Auf echte, unabhängige Zertifizierungen achten
Es gibt tatsächlich seriöse Prüfsiegel und Zertifizierungen, die von unabhängigen Organisationen vergeben werden. Diese sind jedoch selten und an strenge Kriterien gebunden. Recherchieren Sie unbekannte Siegel online – oft findet sich schnell heraus, ob es sich um ein Fantasiekonstrukt oder eine echte Zertifizierung handelt. Manche Hersteller bewerben Zusätze wie L-Carnitin auf ihren Fitness-Riegeln, obwohl dieser Stoff keinerlei nachgewiesenen Nutzen für Sportler hat. Solche Versprechen dienen allein dem Marketing, nicht Ihrer Gesundheit.
Alternative Strategien für echte Energie
Wer wirklich auf gesunde Energiequellen setzen möchte, sollte Alternativen in Betracht ziehen. Nüsse und Trockenfrüchte in selbst zusammengestellten Mischungen liefern natürliche Energie ohne Zusatzstoffe. Ein Vollkornbrot mit Nussmus bietet komplexe Kohlenhydrate und hochwertiges Protein. Haferflocken-Riegel lassen sich mit wenigen Zutaten zu Hause herstellen und garantieren vollständige Kontrolle über die Inhaltsstoffe.
Für unterwegs eignen sich Bananen als natürliche Energiequelle hervorragend – sie enthalten schnell verfügbare Kohlenhydrate, Kalium für die Muskelfunktion und kosten einen Bruchteil industrieller Riegel. Auch Datteln bieten konzentrierte Energie aus natürlichem Fruchtzucker, kombiniert mit Ballaststoffen und Mineralstoffen.
Während Eigenverantwortung beim Einkauf wichtig ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass irreführende Symbole und Siegel ein systematisches Problem darstellen. Verbraucherschutzorganisationen fordern seit Jahren strengere Regulierungen für bildliche Darstellungen und selbst kreierte Qualitätsversprechen. Die Gesetzgebung hinkt der kreativen Marketingpraxis jedoch weit hinterher. Die Reaktionen mancher Hersteller auf kritische Tests zeigen das Problem deutlich: Statt ihre Rezepturen zu verbessern, verteidigen sie ihre Produkte mit fragwürdigen Argumenten.
Bis sich hier etwas ändert, bleibt nur die Möglichkeit, sich zu informieren und bewusste Kaufentscheidungen zu treffen. Wer die Mechanismen der visuellen Manipulation kennt, lässt sich nicht mehr so leicht täuschen. Der kritische Blick auf Zutatenliste und Nährwerte wird mit der Zeit zur Routine und schützt vor teuren Fehlkäufen. Energieriegel können durchaus ihren Platz in einer ausgewogenen Ernährung haben – vorausgesetzt, man wählt bewusst Produkte aus, die halten, was ihre Verpackung verspricht. Echte Qualität versteckt sich in der Zutatenliste, nicht im bunten Marketing auf der Vorderseite.
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