Wer morgens am Frühstückstisch sitzt und dem Nachwuchs das Brot schmiert, denkt selten daran, dass in dem vermeintlich harmlosen Aufstrich mehr Zucker stecken könnte als in einem Schokoriegel. Tatsächlich liegt der Zuckergehalt von Marmelade bei etwa 60 Gramm pro 100 Gramm, deutlich über dem von Schokoriegeln mit durchschnittlich 50 Gramm pro 100 Gramm. Bunte Verpackungen mit fröhlichen Motiven suggerieren Eltern, sie würden ihren Kindern etwas Gutes tun, dabei verbirgt sich hinter der ansprechenden Aufmachung oft eine Zusammensetzung, die alles andere als kindgerecht ist.
Die Täuschung beginnt auf der Vorderseite
Bevor wir uns der Nährwerttabelle widmen, lohnt sich ein kritischer Blick auf die Produktvorderseite. Begriffe wie „mit Vollmilch“, „enthält wichtige Vitamine“ oder „mit wertvollen Nüssen“ lenken geschickt von der eigentlichen Zusammensetzung ab. Diese Werbeaussagen sind zwar nicht gelogen, verschleiern aber die Tatsache, dass Zucker und Fett oft die Hauptbestandteile sind. Ein Produkt kann durchaus Haselnüsse enthalten, wenn diese aber nur 13 Prozent ausmachen und der Rest hauptsächlich aus Zucker und gehärteten Fetten besteht, relativiert sich der vermeintliche Gesundheitsvorteil erheblich.
Die Zutatenliste als erster Indikator
Noch bevor man sich den Nährwertangaben zuwendet, sollte die Zutatenliste unter die Lupe genommen werden. Hier gilt eine simple Regel: Die Zutaten sind nach Gewicht sortiert, beginnend mit der größten Menge. Steht Zucker an erster oder zweiter Stelle, handelt es sich um ein Produkt, dessen Hauptbestandteil Zucker ist, unabhängig davon, wie gesund die Verpackung wirkt.
Doch Zucker versteckt sich hinter vielen Namen. Glukosesirup, Fruktose, Maltodextrin, Saccharose, Dextrose oder Invertzuckersirup sind allesamt Zuckerarten, die in der Zutatenliste auftauchen können. Manche Hersteller teilen den Zucker geschickt auf verschiedene Zuckerarten auf, sodass keine einzelne Zuckerart ganz oben in der Liste steht. Rechnet man jedoch alle Zuckervarianten zusammen, ergibt sich ein erschreckendes Bild.
Nährwerttabelle richtig interpretieren
Die Nährwerttabelle findet sich meist auf der Rückseite oder Seitenfläche der Verpackung. Hier werden die Werte standardmäßig pro 100 Gramm angegeben, manchmal zusätzlich auch pro Portion. Genau bei dieser Portionsangabe ist Vorsicht geboten: Hersteller definieren Portionsgrößen oft unrealistisch klein, um die Werte besser aussehen zu lassen. Eine angegebene Portion von 15 Gramm entspricht etwa einem gehäuften Teelöffel, eine Menge, mit der kein Kind zufrieden wäre.
Der Zuckergehalt im Detail
In der Nährwerttabelle findet sich unter „Kohlenhydrate“ die Unterzeile „davon Zucker“. Diese Angabe ist entscheidend. Die Weltgesundheitsorganisation gibt eine Empfehlung von 30 Gramm Zucker, besser noch 15 Gramm pro Tag für ein- bis dreijährige Kinder mit einem Energiebedarf von 1200 Kilokalorien. Bei einem Aufstrich mit 56 Gramm Zucker pro 100 Gramm bedeutet eine großzügige Portion von 30 Gramm bereits etwa 17 Gramm Zucker, eine Menge, die den Großteil der empfohlenen Tagesdosis ausmacht, und das nur beim Frühstück.
Problematisch wird es, wenn Eltern nicht realisieren, dass auch „natürlicher“ Zucker aus Früchten in dieser Angabe enthalten ist. Ein Aufstrich, der zu 40 Prozent aus pürierten Früchten besteht, enthält zwangsläufig viel Fruchtzucker, was aber nicht bedeutet, dass er gesünder ist als ein Produkt mit zugesetztem Haushaltszucker. Für den kindlichen Stoffwechsel macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob der Zucker aus Erdbeeren oder aus der Zuckerdose stammt. Fruchtzucker kann genauso wie andere Zuckerarten Karies, Übergewicht und Typ-2-Diabetes begünstigen.
Besonders deutlich wird dies bei Fruchtriegeln für Kinder, die als gesunde Zwischenmahlzeit beworben werden. Diese enthalten durchschnittlich 42,6 Gramm Zucker pro 100 Gramm, fast so viel wie Schokoriegel. Eine typische 25-Gramm-Portion eines Fruchtriegels liefert damit knapp zehn Gramm Zucker, während die gleiche Menge frischer Apfel nur etwa drei Gramm enthält. Der Unterschied erklärt sich durch die Konzentration: Getrocknete Früchte und Apfelsaftkonzentrat liefern deutlich mehr Zucker auf kleinerem Raum als frisches Obst, dem zusätzlich die wertvollen Ballaststoffe fehlen.

Fettgehalt und Fettsäuren nicht unterschätzen
Während die meisten Eltern mittlerweile auf den Zuckergehalt achten, wird der Fettanteil oft übersehen. Dabei enthalten viele Schoko-Aufstriche zwischen 30 und 40 Gramm Fett pro 100 Gramm, das entspricht etwa einem Drittel des Produkts. Entscheidend ist hier die Zeile „davon gesättigte Fettsäuren“. Gesättigte Fette sollten in der Kinderernährung begrenzt werden, da sie das Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen können.
Ein Blick in die Zutatenliste verrät, welche Fette verwendet wurden. Palmöl oder ganz allgemein „pflanzliche Fette“ sind häufig anzutreffen und bestehen größtenteils aus gesättigten Fettsäuren. Hochwertigere Aufstriche setzen auf Nüsse oder Nussmus, die zwar auch Fett enthalten, dafür aber wertvolle ungesättigte Fettsäuren liefern.
Die Portionsfalle am Frühstückstisch
Viele Hersteller geben auf der Verpackung zusätzlich Nährwerte pro Portion an. Diese erscheinen auf den ersten Blick deutlich harmloser als die Werte pro 100 Gramm. Doch wer misst schon morgens mit der Küchenwaage ab, ob es tatsächlich nur 15 Gramm sind? Realistische Portionen liegen bei Kindern eher zwischen 25 und 40 Gramm, also fast dem Dreifachen der angegebenen Menge. Die tatsächliche Zucker- und Fettaufnahme multipliziert sich entsprechend.
Ein praktischer Tipp: Wiegen Sie einmal ab, wie viel Aufstrich Ihr Kind tatsächlich aufs Brot bekommt. Diese Menge können Sie dann als Grundlage für die Berechnung der realen Nährwerte nehmen. Ein Teelöffel entspricht etwa 10 bis 12 Gramm, ein gehäufter Esslöffel bereits 25 bis 30 Gramm.
Referenzmengen kritisch hinterfragen
Manche Verpackungen zeigen zusätzlich an, wie viel Prozent der Referenzmenge für einen durchschnittlichen Erwachsenen eine Portion abdeckt. Diese Angaben sind für Kinder jedoch wenig aussagekräftig, da sie einen Energiebedarf von 2000 Kilokalorien zugrunde legen, deutlich mehr, als ein Grundschulkind benötigt. Was für einen Erwachsenen 15 Prozent der Tageszufuhr darstellt, kann für ein sechsjähriges Kind bereits ein Viertel sein.
Praktische Orientierungshilfen beim Einkauf
Um im Supermarkt schnell einschätzen zu können, ob ein Aufstrich akzeptabel ist oder nicht, helfen diese Richtwerte pro 100 Gramm:
- Zucker: Unter 25 Gramm ist akzeptabel, unter 15 Gramm gut, unter 10 Gramm sehr gut
- Fett: Unter 20 Gramm ist akzeptabel, die Art des Fettes ist jedoch entscheidender als die Menge
- Gesättigte Fettsäuren: Sollten maximal ein Drittel des Gesamtfetts ausmachen
- Salz: Bei süßen Aufstrichen meist vernachlässigbar, sollte aber unter 0,5 Gramm liegen
Die meisten kommerziellen Kinderprodukte überschreiten diese Grenzwerte deutlich. Selbst Produkte, die als gesunde Alternative beworben werden, enthalten oft problematische Zuckermengen. Der Vergleich verschiedener Marken lohnt sich immer, denn die Unterschiede können enorm sein.
Bessere Alternativen für bewusste Familien
Die gute Nachricht: Es gibt Alternativen, die nicht mit Verzicht gleichzusetzen sind. Nussmus ohne Zuckerzusatz, gemischt mit etwas Honig oder pürierten Bananen, ergibt einen süßen Aufstrich mit deutlich besserer Nährstoffbilanz. Auch Frischkäse mit Kakao und einer Prise Honig lässt sich leicht selbst herstellen und schmeckt den meisten Kindern hervorragend. Wer auf fertige Produkte nicht verzichten möchte, sollte verschiedene Aufstriche miteinander vergleichen. Während ein Produkt 60 Gramm Zucker pro 100 Gramm enthält, kommen andere mit 35 Gramm aus, immer noch viel, aber deutlich weniger. Solche Vergleiche lohnen sich und können über das Jahr gerechnet einen erheblichen Unterschied in der Gesamtzuckeraufnahme eines Kindes ausmachen.
Die Fähigkeit, Nährwerttabellen kritisch zu lesen, ist eine Kompetenz, die langfristig die Gesundheit der gesamten Familie beeinflusst. Kinder, die von klein auf lernen, dass Lebensmittel mehr sind als bunte Verpackungen, entwickeln ein bewussteres Verhältnis zu ihrer Ernährung. Der morgendliche Griff zum Aufstrich wird damit zur Gelegenheit, informierte Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Entwicklung und das Wohlbefinden der Kinder auswirken.
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